AVIVA-Berlin >
Women + Work
AVIVA-BERLIN.de im November 2024 -
Beitrag vom 16.07.2020
Rachel Salamander erhält den Heine-Preis 2020 der Landeshauptstadt Düsseldorf
AVIVA-Redaktion
Die Literaturwissenschaftlerin und Journalistin Dr. Rachel Salamander wurde am 30. Januar 1949 in einem Displaced Persons Camp für Holocaust-Überlebende in Deggendorf geboren, wo sie ihre ersten sieben Lebensjahre verbrachte. Sie studierte Germanistik, Philosophie und Romanistik, promovierte in Germanistik und beschäftigte sich intensiv mit deutsch-jüdische Literatur und Geschichte. 1982 eröffnete sie in München eine Fachbuchhandlung für Literatur zum Judentum, heute gibt es Zweigstellen in anderen deutschen Städten.
Der Heine-Preis zählt zu den bedeutendsten Literatur- und Persönlichkeitspreisen in Deutschland und wird seit 1972 verliehen, er ist mit 50.000 Euro dotiert. Der Preis wird in diesem Dezember, an einem Termin rund um Heinrich Heines 223. Geburtstag (13. Dezember), in einem Festakt überreicht. Der genaue Termin des Festaktes wird noch bekannt gegeben.
Rachel Salamander wurde kurz nach der Jury-Sitzung durch Oberbürgermeister Thomas Geisel telefonisch über die Auszeichnung informiert. Rachel Salamander: "Ich freue mich sehr über diese bedeutende Ehrung. Heinrich Heine und seine Literatur sind für mich schon immer Lebensbegleiter gewesen."
Die Heine-Preis-Jury traf ihre Entscheidung für Rachel Salamander am 13. Juli. Die Jury begründete ihr Votum wie folgt: "Der Heine-Preis der Landeshauptstadt Düsseldorf 2020 wird an Rachel Salamander verliehen. Die Literaturwissenschaftlerin und Publizistin hat couragiert maßgeblich zum Wiederaufbau des jüdischen intellektuellen Lebens nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland beigetragen. Als Unternehmerin holte sie mit ihren Literaturhandlungen all die jüdischen Autorinnen und Autoren, deren Bücher einst verbrannt worden waren, in den Kanon deutscher Literatur zurück. In Zeitungen und Zeitschriften diskutiert sie öffentlichkeitswirksam über die Bedeutung von Literatur und setzt sich ganz im Sinne Heinrich Heines für Völkerverständigung und gegen Antisemitismus ein."
Der Heine-Preis wird durch die vom Rat der Landeshauptstadt Düsseldorf eingesetzte Jury "an Persönlichkeiten verliehen, die durch ihr geistiges Schaffen im Sinne der Grundrechte des Menschen, für die sich Heinrich Heine eingesetzt hat, den sozialen und politischen Fortschritt fördern, der Völkerverständigung dienen oder die Erkenntnis von der Zusammengehörigkeit aller Menschen verbreiten".
Oberbürgermeister Thomas Geisel: "Mit Rachel Salamander haben wir eine würdige Preisträgerin des Heine-Preises 2020 gefunden, gerade in Zeiten, in denen sich die hässliche Fratze des Antisemitismus wieder zeigt. Ich freue mich, dass die Jury ein Zeichen gesetzt hat, dass jüdisches Leben, Kultur und Literatur selbstverständlich zu Deutschland gehören."
Preisträgerin Rachel Salamander wurde am 30. Januar 1949 in Deggendorf, in einem Displaced Persons Camp für Überlebende des Holocausts geboren. Sie ist das zweite Kind von Samuel und Rywa Salamander, die den Holocaust in der Sowjetunion überlebt hatten. Nach dem Krieg planten sie ursprünglich, mit ihren Kindern nach Israel auszureisen. Dies wurde ihnen jedoch aufgrund der Erkrankung der Mutter nicht gestattet - sie starb 1953. Die Familie lebte bis 1956 im Displaced Persons Camp Föhrenwald. Anschließend zog der Vater mit den beiden Kindern nach München. In der Familie wurde ausschließlich Jiddisch gesprochen.
Ihre Erinnerungen an diese Zeit, die ersten Kindheitsjahre im DP-Lager Föhrenwald, schildert Dr. Rachel Salamanders auch in ihrem Beitrag im Buch "Erben des Holocaust. Leben zwischen Schweigen und Erinnerung" von Andrea von Treuenfeld: "Mit der nichtjüdischen Welt kamen wir also kaum in Berührung. Wir wuchsen mit einem klaren Bewusstsein auf: um uns herum ist das Feindesland der Täter, die Amerikaner unsere Retter...
Die KZ-Überlebenden redeten ausgiebig miteinander. Gingen mein Bruder und ich am Abend ins Bett, saßen die Erwachsenen im selben Zimmer zusammen, und wir Kinder schliefen mit ihren todtraurigen Geschichten und ihrem Weinen über die Ermordeten ein."
An der Ludwig-Maximilian-Universität München studierte Rachel Salamander Germanistik, Philosophie und Romanistik. Hierbei legte sie immer einen Fokus auf die deutsch-jüdische Literatur und Geschichte. Anschließend promovierte sie in Germanistik. 1982 eröffnete Rachel Salamander in München-Maxvorstadt unter dem Namen "Literaturhandlung" eine Fachbuchhandlung für Literatur zum Judentum. Hiermit konnte sich erstmals seit der Zeit des Nationalsozialismus in München wieder eine Fachbuchhandlung für jüdische Literatur etablieren. Mittlerweile gibt es einige Zweigstellen in anderen deutschen Städten, das Stammhaus der "Literaturhandlung" ist in das Jüdische Museum München gezogen.
Rachel Salamander war außerdem ab 2001 fast zwölf Jahre Herausgeberin der Literaturbeilage der WELT, "Literarische Welt". 2013/2014 war sie zudem für die Frankfurter Allgemeine Zeitung in der Literaturredaktion tätig und dort Leiterin des "F.A.Z.-Literaturforums". Zudem führte sie die Frankfurter Anthologie nach dem Tod von Marcel Reich-Ranicki in veränderter Form fort. Seit 2015 ist Salamander Aufsichtsratsmitglied im Suhrkamp Verlag AG. Die Vielbeschäftigte ist außerdem eine der Beirätinnen der Stiftung ZURÜCKGEBEN, Stiftung Förderung jüdischer Frauen in Kunst und Wissenschaft.
Auszeichnungen Für ihr Schaffen wurde Rachel Salamander bereits mehrfach ausgezeichnet. So erhielt sie unter anderem 1999 den Kulturellen Ehrenpreis der Stadt München, 2009 wurde ihr das Bundesverdienstkreuz verliehen, 2013 wurde sie mit dem Schillerpreis ausgezeichnet. Seit 2019 ist sie zudem Ehrenbürgerin der Stadt München.
Publikationen Unter anderem sind folgende Werke von Rachel Salamander erschienen: "Die jüdische Welt von gestern 1860-1938" (1990), gemeinsam mit Jacqueline Giere "Ein Leben auf neu" (1995) sowie "Hans Jonas: Erinnerungen. Nach Gesprächen mit Rachel Salamander" (2003).
Heine-Preis - bisherige Preisträger_innen und Jury
Der Preis, den Düsseldorf als Vaterstadt zu Ehren des 1797 geborenen Heinrich Heine gestiftet hat, wird zum 22. Mal vergeben. Bisherige Heine-Preisträger_innen sind: Carl Zuckmayer (1972), Pierre Bertaux (1975), Sebastian Haffner (1978), Walter Jens (1981), Carl Friedrich von Weizsäcker (1983), Günter Kunert (1985), Marion Gräfin Dönhoff (1988), Max Frisch (1989), Richard von Weizsäcker (1991), Wolf Biermann (1993), Wladyslaw Bartoszewski (1996), Hans Magnus Enzensberger (1998), W.G. Sebald (2000), Elfriede Jelinek (2002), Robert Gernhardt (2004), Amos Oz (2008), Simone Veil (2010), Jürgen Habermas (2012), Alexander Kluge (2014), A. L. Kennedy (2016) und Prof. Dr. Leoluca Orlando (2018).
Der Heine-Preis-Jury 2020 gehörten an
als Vertreter_innen der Landeshauptstadt Düsseldorf: Thomas Geisel (Oberbürgermeister/Vorsitzender der Jury), Hans-Georg Lohe (Kulturdezernent), Dr. Sabine Brenner-Wilczek (Direktorin des Heinrich-Heine-Instituts), als Vertreter der Fraktionen: Dr. Veronika Dübgen (FDP), Georg Blanchard (Die Linke), Cornelia Mohrs (SPD), Dr. Susanne Schwabach-Albrecht (CDU), Karin Trepke (Bündnis 90/Die Grünen), als Fachjuror_innen: Dr. Traudl Bünger (Köln, Autorin, Moderatorin), Reinhard Gorenflos (München, Kuratoriumsmitglied Stiftung Lyrik Kabinett a.D.), Jochen Hieber (Frankfurt, Autor und Journalist), Dr. Florian Höllerer (Berlin, Leiter Literarisches Colloquium Berlin), Dr. Wolfgang Trautwein (Berlin, Archivdirektor a.D. der Akademie der Künste), als entsandte Mitglieder: Felix Droste (Verleger, 1. Vorsitzender der Heine-Gesellschaft), Prof. Dr. Anja Steinbeck (Rektorin der Heinrich-Heine-Universität).
Mehr Infos:
literaturhandlung.com
www.duesseldorf.de
Quelle: Pressedienst der Landeshauptstadt Düsseldorf, 13.07.2020